Das umstrittene Krisenmanagement der Macron-Regierung

„Wir befinden uns im Krieg“, war der entscheidende Satz, den Emmanuel Macron seiner Fernsehansprache am 16. März voranstellte.Gemeint war die exponentielle Ausbreitung des Corona-Virus infolge dessen die Schließung aller nicht lebenswichtigen Einrichtungen und Geschäfte beschlossen wurde.

Paris im Lockdown, Früjahr 2020

 In den voran gegangen Wochen, so der Eindruck in der Bevölkerung, habe die Regierung jedoch auf fahrlässige Weise vom Tragen von Schutzmasken abgeraten. Dass zu diesem Zeitpunkt auch nicht ausreichend Masken vorhanden waren und selbst das Pflegepersonal in den medizinischen Einrichtungen nicht angemessen mit Schutzkleidung versorgt werden konnte, war in den Augen von Kritikern eine „Staatslüge“, die später dutzende Klagen gegen Mitglieder der Regierung nach sich zog. Als besonders drastisch werden den Franzosen und Französinnen Bilder vom Transport von schwerstkranken Covid-19-Patienten im Gedächtnis bleiben, die in umgebauten TGVs durch das Land in andere Krankenhäuser gebracht werden mussten, um die überfüllten Einrichtungen zu entlasten.

Besonders dramatisch war die Lage in der Region Grand Est an der deutsch-französischen Grenze. Im Elsass wurde deswegen eigens ein Armeekrankenhaus errichtet und mehrere deutsche Bundesländer, die zu diesem Zeitpunkt von der Pandemie weniger betroffen waren, boten medizinische Unterstützung an. Insgesamt wurden in der ersten Pandemie-Welle 130 Patienten in Krankenhäusern vorwiegend in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und im Saarland behandelt. Vor dem Hintergrund der einseitigen Grenzschließung der Deutschen wurde diese Geste der Solidarität sehr positiv wahrgenommen in Frankreich. Allerdings konnte sie nicht über das chaotische, von nationalen Interessen geprägte Handeln der europäischen Staaten in der Corona-Krise hinwegtäuschen.

De Gaulle 2.0.

Auf wirtschaftlicher Ebene wurden für die Unterstützung der französischen Wirtschaft im Frühjahr milliardenschwere staatliche Hilfen angekündigt. Dazu gehörten Finanzspritzen von insgesamt fast 500 Milliarden Euro für die Tourismus- und Kulturbranche, für mittelständische Betriebe und Selbstständige und für Unternehmen wie Air France. 12 Millionen Franzosen erhielten zwischenzeitlich Kurzarbeitergeld, das im Rahmen der Coronavirus-Epidemie vom Staat je nach Einkommen zu unterschiedlichem Anteil gedeckt wird, in den meisten Fällen zu rund 90 Prozent. Weitere Maßnahmen sind die Stundung der kommenden Zahlungen von Sozialversicherungsabgaben und Steuern und der Nachlass der direkten Steuern für Unternehmen in existenzbedrohender Lage. Weiterhin wird der Staat für bis zu 90 Prozent der Liquiditätsdarlehen bürgen.

Doch bis zum Ende des Jahres wird der Eindruck haften bleiben, Macron habe viel zu wenig mit den staatlichen und privaten Akteuren, die in der Krise relevant waren, zusammengearbeitet und das Zentralstaatsprinzip habe lokal angepasste Corona-Maßnahmen erschwert. In seiner Rede vom 14. Juni sagte Macron: „Die Zeiten erfordern einen neuen Weg. Jeder muss sich neu erfinden und gemeinsam müssen wir vieles anders machen. Das gilt auch und in erster Linie für mich.“ Die Regierungsumbildung im Juli mit der Absetzung des beliebten Premierministers Édouard Philippe zu Gunsten von Jean Castex und einer von rechten, konservativ geprägten Ministern ließ jedoch vor allem eines erahnen: Macron setzt auf Personal, dass sich in der Sarkozy-Ära einen Namen gemacht hat und wird folglich bis zur Präsidentschaftswahl dessen Wählerklientel umwerben. Dazu passt auch, dass Emmanuel Macron in diesem Jahr immer wieder Anspielungen auf den Geist Charles de Gaulles fallenließ, zu dessen Grab er im November reiste. Es scheint, als versuche er sich immer stärker in die konservative gaullistische Tradition des ersten Präsidenten der V. Republik zu stellen.

Doch ob der Führungsstil eines „starken Retters“ in die aktuelle Zeit passt, die komplex und von vielen Partikularinteressen geprägt ist, ob ein „de Gaulle 2.0.“ das Land wirklich nach vorn bringt und ob die Franzosen und Französinnen Macron seine Fehler im Corona-Krisenmanagement verzeihen werden, ist mehr als fraglich.

Doch darüber werden sie erst 2022 an der Wahlurne entscheiden.